Dr. Nazar Mahmood
Arabisches Kulturinstitut e. V.
Schulische Probleme
und Gewaltäußerungen von Schülern arabischer Herkunft in Berlin
- Überblick über die soziale Lage arabischer Familien
- Ursachen von Gewaltanwendungen und schulischer Probleme
- Maßnahmen und Vorschläge zur Prävention von Gewaltanwendungen an Schulen
I.Überblick über die soziale Lage arabischer Familien
Maßnahmen und Vorschläge zur Prävention von Gewaltanwendungen durch Schüler arabischer Herkunft erfordern eine Darstellung bzw. Analyse der sozialen Lage der arabischen Familien, so wie die Bestimmung der besonderen Ursachen von Gewaltanwendungen seitens dieser Kinder und Jugendlichen an den Schulen.
Statistiken über Gewaltanwendungen, die die soziale Lebenslage, darunter auch den Bildungsstand der Elterngeneration, nicht berücksichtigen, verleiten daher zu falschen Schlussfolgerungen, weil der bestimmende Zusammenhang zwischen Gewaltanwendung und sozialer Lage verloren geht.
In Deutschland leben ca. 900.000 Mitbürgerinnen und Mitbürger aus 20 arabischen Ländern, etwa 80.000 davon leben in Berlin. Hierbei bilden die Palästinenser den Hauptteil. Die meisten der Palästinenser sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Sie kamen hauptsächlich aus dem Libanon während des Bürgerkrieges und nach der israelischen Invasion 1982.
Jahrzehnte lang haben die palästinensischen Flüchtlingsfamilien in Lagern gelebt, in denen es keine Möglichkeit gab, sich zu bilden oder ausbilden zu lassen. Als sie nach Deutschland kamen, wurden sie als staatenlose Asylanten bezeichnet und mussten mit dem Aufenthaltsstatus „Duldung“ leben.
Nach diesem Status haben sie weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis. Diese bescheidenen Lebensmöglichkeiten und die Unsicherheit haben ihr Leben geprägt. Arabische Familien sind sehr kinderreich. Die Kinder dürfen zwar zur Schule gehen, haben aber nach der Schule große Schwierigkeiten, eine Ausbildung bzw. eine Arbeit zu finden.
Arabische Familien konzentrieren sich in den sogenannten „armen Bezirken“ Berlins, wie z. B. Neukölln, Kreuzberg, Tiergarten, Schöneberg und Wedding. Dies findet seine Gründe in der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umgebung. Viele von ihnen leben in Groß-, Clan- und Stammesfamilien zusammen.
Aus juristischen, wirtschaftlichen, Bildungs- und Aubildungsgründen sind die meisten Arbeitswilligen unter ihnen jedoch ohne Arbeit. Etwa ein Viertel ist auf dem regulären Arbeitsmarkt beschäftigt. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie bei den gleichaltrigen Deutschen. Der Schulabgang ohne einen Schulabschluss ist sogar dreimal so hoch.
Junge Männer nicht deutscher Herkunft, darunter auch arabischer Herkunft, sind laut polizeilicher Kriminalstatistik in besonderem Maße an der Ausübung von Gewaltdelikten beteiligt.
In Berlin gibt es über 15 arabische Gemeinschaften, über 40 Kulturvereine- und Gesellschaften, so wie über 20 kleine und große Moscheen und Gebetsräume.
Die in Berlin lebenden Araber sind hauptsächlich Muslime (Sunniten oder Schiiten). Daneben leben aber auch Tausende von gebildete und hochgebildete arabische Migrantinnen und Migranten. In Berlin gibt es z. B. 350 syrische Ärzte, Hunderte von Ingenieuren und Akademiker/innen aller Fachrichtungen. So wie Hunderte von Geschäftsleuten.
II.Ursachen von Gewaltanwendungen und schulischer Probleme
Laut Prof. Ali Ucar haben die Migrantenkinder und –jugendlichen in westeuropäischen Ländern , im Allgemeinen, die gleichen Probleme, wie die einheimischen Kinder und Jugendlichen. Der Unterschied besteht darin, dass ihre soziale Situation zusätzlich durch migrantenbedingte Faktoren geprägt ist. Für die Orientierung haben sozio-strukturelle und sozio-kulturelle Bedingungen eine bestimmende Rolle und gleichzeitig eine erhebliche Bedeutung für die Entwicklung der eigenen Identität.
Diese Faktoren können in folgende Gruppen gegliedert werden: (Siehe auch Frank Gesemann und Stephan Voß)
- Sozialisationsbedingte Faktoren
- seitens der Familie:
Erziehungsprobleme in der Familie, Kommunikationsprobleme zwischen Eltern und Kindern, so wie Gewalterfahrung der Jugendlichen in den Familien.
- b) seitens der Jugendlichen,
das fehlende soziale Lernen, was zur mangelnden Entwicklung von Selbstkompetenz, u. a. durch die Steigerung des Selbstbewusstseins und des Verantwortungsgefühls, so wie von Sozialkompetenz, u. a. die Steigerung von Konfliktfähigkeit.
- c) seitens der Schule
die mangelnde Sozialarbeit in der Schule, so wie die mangelnde Vorbereitung der Lehrer auf die Anforderungen in multikulturell zusammengesetzten Schulklassen
- Migrationsbedingte Faktoren
- der Milieubruch und die vielfältigen Anforderungen, die Schule, berufliche Bildung und Arbeitswelt an die Jugendlichen stellen, können offenbar von vielen Familien nicht kommunikativ bewältigt werden. Zu den Gründen gehören vor allem:
- die fehlenden kulturellen Kompetenzen der Elterngeneration
- der Prozess der Selbst-Ethnisierung und
- die „Illusion der Rückkehr
- Kulturelle Faktoren
Zu den kulturellen Faktoren gehören beispielsweise Anforderungen, die die zentralen Wertbegriffe „arabischer“ Kultur wie:
Ehre, Achtung und Handeln der Jugendlichen stellen.
Zur Ehre in einer Jugendbande gehören männliche Eigenschaften wie:
- Unerschrockenheit
- Gewaltbereitschaft oder
- verbales und körperliches Durchsetzungsvermögen
Das stark entwickelte Männlichkeitsbewusstsein stellt er in den Kontext eines durch mangelnde soziale Anerkennung beschädigten Selbstbildes.
- Pubertätsbedingte Faktoren
Pubertätskrisen in der Adoleszenz sind häufig. In dieser Periode sind viele körperliche und psychosoziale Veränderungen im Reifungsprozess im Gange. Bei ausländischen Kindern, darunter arabischen, ist dieser Entwicklungsprozess mit vielen Hindernissen und Erziehungsproblemen belegt, weil sie im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Kulturen aufwachsen. Dies führt dann meist zu Identitäts- und Verhaltenskrisen.
III. Maßnahmen und Vorschläge zur Prävention von
Gewaltanwendungen an Schulen
Ausgehend von der sozialen Lage der arabischen Familien und den Ursachen der Gewaltanwendungen der Schüler arabischer Herkunft, können folgende Maßnahmen und Vorschläge einen Beitrag zur Gewaltprävention leisten:
- In der Schule
- Mehr attraktive soziale Arbeit
Sozialarbeiter/Sozialstation/Sozialgruppen/ soziale Aktivitäten
- Lehrer sollten sich mehr in sozialen Aktivitäten engagieren, um ihre sozialen Kompetenzen zu stärken
- mehr soziale Kontakte zu den Familien
- Schulen und Lehrer für eine neue Konfliktkultur vorbereiten
- attraktive Lehrinhalte und Unterrichtsgestaltung
- attraktive Hofpausengestaltung
- interessante und multikulturelle Elternabendgestaltung
- stärkere Einbeziehung der Schüler in Gespräche und Diskussionen
- mehr Demokratie in der Schule
- Konflikte nicht immer negativ zu sehen, sondern eine Chance für Neuerungen in der Konfliktbewältigung, in dem man Mediatoren ausbildet
- soziale Kompetenzen der Schüler durch Gespräche und Aktivitäten entwickeln
- In der Familie
- Familienberatung in Erziehungsfragen
- mehr Demokratie in der Familie
- Eltern zur Teilnahme an den Elternabenden aktivieren
- mehr Zusammenarbeit mit der Schule, Jugendamt und Vereinen
- Infoveranstaltungen- und Material in der Muttersprache
- In der Jugendhilfe
- stärkere Thematisierung der Erziehungsprobleme in der Jugendhilfe
- geeignete Interventionsansätze in Migrantenfamilien
- Stärkung der Erziehungskompetenzen der Migrationseltern
- In der Freizeit (außerhalb der Schule)
- Zusammenarbeit mit Jugendzentren und Vereinen, die Segregation von
Deutschen so wie Ausländern aufzubrechen
- fördern von Aktivitäten interkultureller Gruppen
Berlin, 03.02.2005
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